Paradisus anime intelligentis (Pr. 32)


Bibliographie:
Textausgabe: Philipp Strauch [Hrsg.],
Deutsche Texte des Mittelalters Bd. XXX
Berlin [Weidmann] 1919.

Pars secunda.

32. Eckhart Rube.

Sermo de sanctis.

[mittelhochdeutsch] [Paralleltext]


par069__8_     I. 'Scimus quia diligentibus deum omnia cooperantur in bonum'. dise wort
par069__9_ sprichit sente Pauwil: 'di Got lip han, den sint alle dinc beholfen, und mide
par069_10_ wirkinde zu Gode': troist und gemach und ungemach und joch sunde nicht den
par069_11_ di di libe habin zu einir zit und dar noch druiz vallin, sunder den di fon Gode
par069_12_ irwelit sin, alse sente Pauwil sprichit: 'de Got noch sime ewigin willin irwelit
par069_13_ hait zu deme glichnisse des bildis sines sones, di hait her groiz gemachit'. wa
par069_14_ mide? mit deme geslechte allir tugindi, alse di betudunge sprichit: zu deme ge-
par069_15_ slechte der tuginde gehorin alle di ubernaturlichin gabe, da mide Got den men-
par069_16_ schin ordenit zu der ewigin selikeit, und daz sint vollincumenheit gotlicher
par069_17_ nature, forenzilit ubernaturlichin in fornuftigin creaturen, und daz ist daz bilde
par069_18_ des sones, da zu wir geladin sin. daz ist in Christo zwegerhande wis noch
par069_19_ zwegerleige nature gotlich und menschlich. in disime geslechte so nimit man zu
par069_20_ dem erstin gnade, darumme daz si ist ein worzele allis disis geslechtis. waz ist
par069_21_ gnade? gnade ist ein lutir glichnisse und teilhaftikeit gotlicher nature, alse si
par069_22_ ein nature ist. aber di anderin vollincumenheit, daz sint glichnisse gotlicher
par069_23_ nature, nicht alse si ist nature, sunder alse si ist ein wisheit odir ein gude oder
par069_24_ ein andir vollincuminheit, alleine ez alliz in Gode ein si. und darumme so [56v]
par069_25_ ist gnade unmezlich in der nature der sele, alleine di anderin vollincuminheit
par069_26_ alle sint in den creften; wan gnade gibit ein ubernaturlich wesin, daz gehorit
par069_27_ der nature. aber di anderen vollincuminheit gebin ein ubernaturlich wirkin, daz
par069_28_ gehorit den creftin. alleine dise gnade noch urme geslechte und nature edilir si
par069_29_ wan di nature der sele oder kein andir nature, ie doch noch wise der wesunge
par069_30_ so ist di gnade unvollincumenir in der sele wan di nature der sele, wan di sele
par069_31_ ist vollincumenir in ir selber; wan di sele ist substancie, daz ist wesin, gnade
par069_32_ ein aneval des wesines. noch der gnade volgin di tuginde, daz sint vollincumen-
par069_33_ heit di da den namen der tuginde sunderliche habin behaldin. von tuginden
par069_34_ sprichit Aristoteles: 'tugint ist di da vollinbrengit den de si hait, und sin werc
par069_35_ guit machit'. aber dit ist gesprochin gemeinliche fon tuginden di da sint ge-
par069_36_ wonnen. aber fon den ingegozzenin tuginden sprichit sente Augustinus: 'tugint
par070__1_ ist ein guit aneval der sele, den niman ubile nutzit, den Got in uns ain uns wirkit'.
par070__2_ dise tuginde vollinbrengin di crefte der sele zu wole wirkine und sin zweigerleige.
par070__3_ eine gotlich, darumme daz ir werc unmittillich sin gegin Gode, und ir sin dri:
par070__4_ glaube unde hoffenunge und minne. di anderin daz sin mensliche tuginde, der
par070__5_ werc ensin nicht unmittillich gegin Gode, alleine Got daz ende si. und dise sin
par070__6_ auch zweigerleige. di einin gehorin zu der fornuft, daz ist wisheit, fornuft,
par070__7_ cunst und cluicheit, und di in disin sint beslozzin, di heizint fornufliche tuginde.
par070__8_ di anderen gehorin zu den willin und zu den anderen creften; der heubit sint
par070__9_ genant gerechtikeit, sterke und mezikeit. in den sint file andere beslozzin und
par070_10_ di heizin sitliche tuginde, wan si gehorin zu den siden. und alse di fornuft
par070_11_ [57r] edilir und hohir ist wan di anderin crefte, also sint di fornuftigin tuginde
par070_12_ edilir und hoher wan di sitlichin, wan di habin di meistirschaft uber dise.
par070_13_     Noch den tugindin volgin di gabe des heligen geistes, der sint sibine be-
par070_14_ schriben in Ysaia: wisheit, fornuft, cunst, rait, sterke, mildekeit und worchte.
par070_15_ wisheit und fornuft gehorint zu der warheit der beschauunge: wisheit zu ortei-
par070_16_ line, fornuft zu vindine; cunst und rait gehorint zu der warheit der wirkunge:
par070_17_ cunst zu orteiline, rait zu vindine. dise gabe sint beschriben fon den lereren
par070_18_ also: gabe des heligen geistes ist ein unwidirlich gebunge godis, di den menschin
par070_19_ machit wol bewegelich fon deme heligen geiste. wan alse di sitlichin tuginde
par070_20_ werdin wol bewegilich fon der fornuft, also machin dise gabe den menschin wol
par070_21_ bewegelich unmittilliche von deme heligen geiste. dise gabe sint in allin creftin
par070_22_ der sele und tuin den menschin wirkin hohir werc dan di tuginde, wan di tu-
par070_23_ ginde tuin den menschin wirkinde tugintliche werc in menslicher wise noch der
par070_24_ bewegunge der fornuft; abe di gabe tuin wirkin den menschin in gotlicher wise
par070_25_ noch der bewegunge des heligen geistes. di tuginde gebin eine maze und ein
par070_26_ mittil an gebruchunge von forgenclichin dingen gudis und ere, gemachs und un-
par070_27_ gemachis, aber di gabe gebin ein forsmehin und ein hinewerfin forgenclicher
par070_28_ dinge umme gotliche minne. di gabe sint pobin den menslichen tuginden und
par070_29_ sint beniden den gotlichin tuginden in eime mittile, wan alse di fornuftlichin
par070_30_ tuginde sint pobin den sitlichin tuginden, alse sint di gotlichen tuginde pobin den
par070_31_ gabin, wan uz den gotlichen tuginden flizin alle di gabe des heligen geistes. di [57]
par070_32_ gotlichin tuginde machin ein einunge der sele mit deme heligen geiste, daz der
par070_33_ helige geist bewege di sele. aber di gabe bereiden den menschin zu inphahine ane
par070_34_ widersazzunge di bewegunge des heligen geistes. Ysaias sprichit: 'Got hait mir
par070_35_ geoffinbarit das ore, und ich inwidersprechiz nicht und inginc nicht hindirwert'.
par071__1_ Philosophus de bona fortuna: 'di da werdin bewegit fon gotlicher be-
par071__2_ wegunge, den inzimit nicht rait zu suchine fon menslicher fornuft, sundir
par071__3_ daz si volgin den inren bewegungen, wan si werdin bewegit fon eime
par071__4_ bezzerin beginne wan menslich fornuft si'. dise dri follincuminheit, gnade,
par071__5_ tuginde und gabe, di blibin in den menschin, he slafe oder wache, he wirke
par071__6_ oder he inwirke nicht. darumme sint si genant blibinde follincuminheit. noch
par071__7_ den volgin di anderen, di bi dem menschin nicht inblibin, wan alse her si ge-
par071__8_ ginwerticliche wirkit; wan dit insint nicht me wan di werc di da flizin uz den
par071__9_ erstin. under disen sint zu deme erstin di fruchte des geistes. fruchte des
par071_10_ geistis sint genant di werc der tuginde, darumme daz si suze sint deme der si
par071_11_ wirkit, wan alse liplich frucht ist das leiste unde daz suziste daz da ist in dem
par071_12_ menschin. darumme sprichit man daz diz werc der tugint treit sin lon in
par071_13_ sinem munde. sente Ambrosius: 'di werc der tuginde sint genant fruchte dar-
par071_14_ umme daz si spisin den menschen mit heliger und mit luterre wollust'. wan di
par071_15_ werc cumen fon dem menschin nocht der craft sinir fornuft, so heisin ez fruchte
par071_16_ der fornuft; wan si aber cumin fon deme menschin noch der craft des heligen
par071_17_ geistes, so heizin ez fruchte des geistes, wan her ist ein same disir werke. wan
par071_18_ dan dise werc nicht insint durch sich selbir, sunder si sint ge[58r]ordint zu der
par071_19_ gebruchunge Godis, der da ist di uberste frucht, darumme sint si blomin und
par071_20_ fruchte mit ein andir. Salomon: 'mine blomen daz sint fruchte der ere und der
par071_21_ hobisheit'.
par071_22_     Disir fruchte nennit sente Paulus zvelfe, alleine ur fil me sint, alse sente
par071_23_ Augustinus sprichit. di erstin dri daz sint dri werc der minne, freude und vride.
par071_24_ minne ist daz erste werc des willen und ein eigentlich glichnisse des heiligen
par071_25_ geistes. dar noch kumet freude fon der einunge und geginwertikeit di di minne
par071_26_ machit. dar noch volgit fride, di machit vollincumen di freude mit ruwe fon
par071_27_ uzewendigime betrupnisse, wan wer ganzin vride sines herzin hait in Gode, den
par071_28_ inmac uzewendic nicht betruben. di virde frucht ist gedult in widermude. di
par071_29_ funfte ist lancbeidin in hoffenunge. di seiste ist gude, daz ist suzikeit des ge-
par071_30_ mudis. di sibinde ist guitwillikeit, daz ist mildekeit des gudis. daz achte ist
par071_31_ senftmudikeit. di nunde ist truwe oder glaube. di zende ist mezikeit an worten
par071_32_ und an werkin. di elfte ist inthaldunge oder eigin betwanc gegin den dingin
par071_33_ di nicht forbodin insint. di zvelfte ist kuisheit, daz ist inthaldunge fon den
par071_34_ dingin di forbodin sint oder frieheit fon bekorungen.
par071_35_     Hi noch folgin di selikeit und der lon der selikeit. achte selikeit sint be-
par071_36_ schribin und sibin lon, aber eiginliche sint der selikeit nicht dan sibine, wan di
par071_37_ achte enist nicht me dan ein bestedigin und ein uzlegin der anderin sibine, und
par072__1_ darumme enhait si nicht ein sunderlichin lon alse di anderen. selikeit ist be-
par072__2_ schribin fon den lereren also: selikeit sint hohe follincumene werc, di da flizin
par072__3_ uz den gabin des heligen geistes und geberen in deme menschin eine sichere
par072__4_ hoffenunge di da weschit uze hohe [58v] follincumene werc. dise werc sint dar-
par072__5_ umme selikeit genannt daz si machin eine geginwertikeit und eine sichirkeit
par072__6_ der selikeit in der hoffenunge: alse wan der baum wole bluwit, so hait man
par072__7_ hoffenunge zu der frucht. di lon der selikeit daz sint ein vollincumin anevanc
par072__8_ oder ein begin zu der zukunftigin selikeit mit innewendigir sazunge der sele
par072__9_ an gotlicher ruwe und fride, und sint glichit der frucht des baumes, wan si
par072_10_ itzunt beginnit rife zu werdine. darumme sprichit sente Ambrosius daz alle
par072_11_ dise lon gehorin zu deme ewigin lebine. aber sente Augustinus sprichit tifir
par072_12_ daz si alle gehorin zu disime lebine, aber si werden vollebracht in der ewigen
par072_13_ selikeit. dise selikeit mit uren lonen beschribit sente Matheus also in deme
par072_14_ ewangelio und ordint si also: 'selic sint di armen an deme geiste, wan er ist
par072_15_ daz riche der himmele. selic sint di senftmudigin, wan si sullin besitzin daz
par072_16_ ertriche. selic sint di barmherzigin di nu weinin, wan si sullin werdin getroist.
par072_17_ selic sint di da hungeric und durstic sin noch der gerechtikeit, wan di sullin
par072_18_ werdin gesedit. selic sin di barmherzigin, wan si sullin barmherzikeit inphahin.
par072_19_ selic sint di fon reinime herzin sin, wan si sullin Got sehin. selic sint di fride-
par072_20_ samen, wan si sullin genant werdin Godis kinder. selic sint di alle anvech-
par072_21_ tunge liden umme di gerechtikeit, wan ur ist daz riche der himmele. ermude
par072_22_ des geistes daz ist ein forsmehin gudis und ere fon oitmudikeit: deme sal daz
par072_23_ riche der himmele, daz ist ein begin vollincumener wisheit. senftmudikeit ist
par072_24_ ein ruwe von vihelichen begerungen noch Godis willin: di sal besitzin daz ert-
par072_25_ riche, daz ist ein ruwin der bege[59r]runge an der stedikeit des ewigin erbis.
par072_26_ weinin daz ist selic, wan ez wirt fon willin genomin durch Got: deme sal troist
par072_27_ des geistis. hungir und durst zu der gerechtikeit, daz ist ein burninde be-
par072_28_ gerunge zu den werkin der gerechtikeit: der sal sedunge der spise, fon der
par072_29_ Christus sprach: 'mine spise ist, daz ich tun den willin minis vadir'. barmher-
par072_30_ zikeit heizit selic, wan si ist ain underscheit zu dem fremiden alse zu deme
par072_31_ nehisten: der ist gelobit Godis barmherzikeit. reinekeit des herzin daz ist
par072_32_ lutirkeit des gemudis: der ist gelobit gotlich beschowin beide hi und dort.
par072_33_ fridesamkeit daz ist frieheit fon bewegungen noch gotlichime glichnisse, dar-
par072_34_ umme sint si Godis kinder. dit sint di selikeit mit yren lonen, di sich hi ane
par072_35_ hebin in den heiligin vollincumenin ludin und sullin vollebracht werdin in der
par072_36_ ewigin selikeit. dit ist ein minninclich dinc daz Got sine irweltin mit also luit-
par072_37_ seligir ordenunge der vollincumminheit brengit zu sime glichnisse. wan dan
par073__1_ Got dise vollincuminheit wirkit, di insullin si nummir forlisin, wan ez ist un-
par073__2_ mugelich daz si fon Gode mugin geschedin. hirzu muze uns helfen Christus,
par073__3_ Marien son, in deme gebenedigit sint alle heligen. amen.


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Autor:Niels GÜLBERG
e-mail: [email protected]
Last updated: 03.12.11